Bevor ich die Ausstellung EY ALTER betreten darf, habe ich bereits die Qual der Wahl: Wie fühle ich mich heute – alt oder jung? Ich stehe vor zwei Eingängen, die mich beide in die Ausstellung führen können. Ich entscheide mich für jung – und werde prompt beim Durchlaufen mit Vorurteilen bombadiert: “Chaot!”, “Dir fehlt die Erfahrung” und “Nee, La Traviata ist nicht von Beyoncé” ertönt es von links und rechts. Na, hat der ein oder andere von euch sowas nicht auch schon zu hören bekommen?
Kollektiv senil oder lebenslang mobil?
Es ist nicht zu bestreiten, dass wir uns gerne davor drücken, über das Alter(n) zu sprechen. Zwar kommt es unweigerlich auf uns zu, doch bis es soweit ist, schieben wir das Thema gemütlich vor uns her. Ein Fehler, dachte sich Mercedes-Benz – und entschied sich, eine Ausstellung rund um das Thema ins Leben zu rufen. Diese soll den Defizitmodellen des Alters entgegenwirken, wissenschaftliche Fakten klären und für Altersdimensionen sensibilisieren.
“EY ALTER!” ist der Titel der Ausstellung, die mit einem Augenzwinkern den demographischen Wandel anspricht und Impulse zum Alter, Alltag und zur Arbeitswelt gibt. Denn der Altersbegriff ist so individuell wie wir selbst und trägt vielfältige Chancen mit sich. EY ALTER verdeutlicht eindrücklich, dass wir nie zu alt oder zu jung sind zum lernen – und dass es die Aufgabe der ganzen Gesellschaft ist, den Paradigmenwechsel voranzutreiben.
Ey Alter, kennst du dich überhaupt?
Die Hauptattraktion von EY ALTER ist das Spiel: 20 Mitmachstationen, die sich in die vier Bereiche “Alles Kopfsache”, “Dein Alter”, “Dein Potenzial” und “Dein Team” unterteilen lassen, helfen einem dabei, sich spielerisch selbst besser kennenzulernen. Daher bekommt der Gast beim Eintritt auch eine Karte, auf der er seine besten Ergebnisse speichern kann und zum Schluss sogar in einer Urkunde zusammengefasst bekommt. Von der Reaktionsfähigkeit, der Lebenserwartung, der Wahrnehmung komplexer Signale bis zur geistigen Denkfähigkeit kommt hier die Wahrheit ans Licht – und die unterschiedlichen Altersdimensionen, die wir alle in uns tragen.
Vor allem in dem Bereich “Dein Potenzial” kann man zupacken: Hier kann man messen, wie fest der eigene Händedruck ist, wie hoch man springen kann und wie gut die Reaktionszeit und der Gleichgewichtssinn sind. Mein persönliches Highlight war die “Aufmerksamkeitsübung”: Mit einem Stirnband werden die Strömungen im Gehirn gemessen, durch die man einen Ball eine Linie entlang führen soll. Je intensiver man sich auf den Ball konzentriert, desto stärker sind die Strömungen und der Ball bewegt sich tatsächlich in die gewollte Richtung!
Im Gespräch mit Frank Weber
Frank Weber ist Mitarbeiter im Team Strategisches Resource Management bei Mercedes-Benz und Berater von Führungskräften zum Thema Alter und Demographischer Wandel. Mit ihm habe ich über die Vorteile im Alter, Unsterblichkeit und die Digitalisierung gesprochen.
Es gibt ja das Sprichwort “Age is just a number”. Stimmen Sie dem zu?
Vollkommen! Das Alter sagt nichts über einen aus – weder über seine Stärken, Talente, Verfassung oder auch Begeisterung. Age is just a number – yes.
Defizitmodelle des Alters sind weit verbreitet. Was können wir Ihrer Meinung im Alter besser als in den jungen Jahren?
Im Alter lässt sich eine sogenannte Alters-Gelassenheit erkennen – die nichts mit Gleichgültigkeit zu tun hat – jedoch dafür sorgt, dass man nicht gleich in Panik gerät, wenn außergewöhnliche, unvorhersehbare Dinge passieren. Das ist eine Ruhe, die ältere Herrschaften haben und für junge Menschen oftmals schwer zu erreichen ist, sich jedoch als unglaublicher Vorteil darstellt. Auch das Thema Erfahrung baut darauf auf: Dinge betrachten zu können, ohne sie im einzelnen analysieren zu müssen, jedoch zu 70 – 80% zu wissen, wo es so grob langgeht. Das erfährt man nun mal erst, wenn man erfahren ist.
Unsere Gesellschaft ist sehr jugend-fixiert und die Wissenschaft beschäftigt sich weiterhin viel mit lebensverlängernden Mitteln oder gar der Unsterblichkeit. Wären Sie gerne unsterblich?
Nein, niemals. Ich mag auch gar nicht so denken, denn wenn ich plötzlich unsterblich wäre, würde ich einige schöne Dinge verpassen – vor allem die, die ich erst im Alter erfahren kann. Wenn ich das, was Leben ausmacht – von der Geburt bis ins hohe Alter, bis letztendlich zum Tod – gar nicht mehr erfahren könnte, weil es es nicht mehr gäbe, dann würde mir aus der heutigen Anschauung, was ich hinter mir und vor mir habe, gar nicht mehr so viel Freude bereiten.
Welche Vorteile kann die Digitalisierung Ihrer Meinung nach haben, wenn wir immer länger erwerbstätig sein müssen oder werden?
Digitalisierung gehört zu den Megatrendthemen des 21. Jahrhunderts. Wer sich nicht darum kümmert – bald kümmert – wird auf jeden Fall im Nachteil sein. Digitalisierung im Zusammenhang mit Alter ist sehr wichtig, wir haben das im Zuge der Industrialisierung schon erfahren, dass vieles dem Menschen erleichtert wurde: So wurden das Fließband und Hebehilfen eingeführt. Roboter waren im Zuge der Industrialisierung sehr umstritten, weil man Angst hatte, dass sie uns die Arbeitsplätze klauen. Letztendlich haben wir heute viel mehr Arbeitsplätze als damals, trotz Roboter. In der Montage bei Mercedes haben wir auch eine Mensch-Roboter-Kooperation auf engstem Raum, sodass der Roboter ergonomisch schwierige und auf Dauer ungesunde Aufgaben übernimmt und der Mensch das macht, wo er seinen Geist einsetzt. Ich denke, da liegt die Chance der Digitalisierung. Wir sind in erster Linie geistige Wesen und genau diesen Vorteil können wir in Zukunft besser nutzen, wenn die harte körperliche Arbeit nicht mehr getan werden muss.
Nun könnte man natürlich auch sagen, dass die künstliche Intelligenz irgendwann unsere kognitiven Fähigkeiten ersetzen wird – viele Philosophen gehen auch soweit zu behaupten, dass es irgendwann keine Jobs mehr geben wird und wir ein bedingungsloses Grundeinkommen benötigen. Stimmen Sie dem zu oder sehen Sie dies eher als Schwarzmalerei?
Das ist schwierig – da ist man schnell am vermuten und philosophieren. Das Thema wird auf jeden Fall auf uns zukommen, auch viele negative Auswirkungen – dennoch glaube ich, dass es genauso wie im Alter Chancen gibt. Wenn wir die wenigen Regeln, die wir haben, gut machen und es dann internationale Standards dafür gibt, kann man das Thema sicher beherrschen.
In Unternehmen prallen ja auch oft Generationen aufeinander. Was ist Ihr Vorschlag, wie man es in Unternehmen schaffen kann, dass diese Mitarbeiter möglichst viel voneinander lernen?
Das ist die Aufgabe von Führungskräften: Zum Beispiel wenn ein älterer Kollege noch mit Karteikarten hantiert und gefühlt niemals den Rechner anbekommt, dann ist das die Aufgabe der verantwortliche Führungskraft, das mitzubekommen. Dann muss sie – insbesondere wenn sie weiß, was die Wissenschaft bereitstellt – intervenieren. Das heißt, dass sie die Mitarbeiter motivieren muss, sich gegenseitig zu helfen und sie aktiv zusammen bringen muss. Das fängt schon bei der Sitzordnung an: Warum sollen die ewig Gestrigen aus der Sicht der Jungen, hinten rechts sitzen und die jungen Bullen sitzen hinten links? Man muss Begegnungsstätten in den Arbeitsstätten schaffen und die Menschen erfahren lassen, dass sie gemeinsam erfolgreicher sind, als wenn man alles altersbegrenzt lässt. Man muss also dafür werben, sensibilisieren und Vorbild sein.
Eine letzte Frage, Herr Weber: Wie alt fühlen Sie sich?
Heute Anfang 40. Das sind schon mal zehn Jahre weniger als mein biologisches Alter!
Und wie siehst du dich selbst, in deinem Alter? Bis zum 19. Januar 2019 hast du täglich die Chance, die Ausstellung im Gasometer zu besuchen!