Die Hauptstadt ist eine der größten Leinwände der Welt. An Berlins Fassaden, Hauswänden und Brücken verewigten sich bereits zahlreiche internationale Künstler. In diesem Jahr kamen ein Dutzend neue Murals hinzu. Die gigantischen Wandbilder werden beim Mural-Fest gefeiert und verehrt. Doch wann wird Graffiti zur Kunst? Dieser Frage gehen wir mit dem Berliner Urban Art Künstler Kai ‘Raws’ Imhof nach. Das professionelle Sprayen ist seine große Leidenschaft. Kai arbeitet für bekannte Marken wie Nike oder Marvel, seine Werke gehen um die Welt – von Indonesien über Irland, Dänemark, Frankreich und die Niederlande. Im Interview verrät er uns außerdem seine Urban Art Highlights in Berlin.
Interview mit Kai ‘Raws’ Imhof über Urban Art in Berlin
Was zeichnet Berlin’s Streetart und Graffiti-Szene aus?
Ich denke die Berliner Szene ist sehr spannend, weil sie sehr lebendig ist. Von Tape-Art über klassisches Graffiti bis hin zur Fotografie oder Malerei: Es gibt so viele Künstler, die in den unterschiedlichsten Bereichen aktiv sind. Meiner Meinung nach ist die Kunst in Berlin auch sehr authentisch und roh. Das Straßenbild mit all seinen Graffitis, der Streetart und dem dreckigen Charme beeinflusst die Kreativschaffenden und ihre Werke.
Die Berliner Graffitiszene ist schon ziemlich alt und war vor allem in den 80ern und 90ern stilprägend für ganz Europa. Gerade die Internationalität der Menschen und Künstler ist bezeichnend für die Szene. Es kommen Künstler aus der ganzen Welt nach Berlin, um hier ihren Traum zu verwirklichen. Das sorgt für einen tollen Austausch und eine spannende Dynamik innerhalb der Szene.
Ab wann ist Graffiti Kunst? Wie würdest du das einordnen?
Das ist eine gute Frage. Für mich ist alles Kunst, was aus einer bestimmten Intention heraus entsteht und dabei Fragen aufwirft. Deswegen hat Kunst für mich weniger etwas mit einer ästhetischen Qualität als mit einer inhaltlichen Qualität zu tun. Die Floskel “Kunst kommt von Können” trifft für mich nicht zu. Dennoch trägt eine gestalterische oder technische Qualität zu einer attraktiven Gestaltung bei. Demnach ist Graffiti für mich in fast jeder Form Kunst.
Eine Extrembeispiel: Die sogenannten “Tags” entsprechen meist nicht dem Geschmack der Mehrheit der Gesellschaft. Eine inhaltliche Ebene besteht aber eben auch bei diesen “Schmierereien”. Sie symbolisieren auf gewisse Weise den Freiheitsdrang der Sprüher, welche die gesellschaftlichen Normen und Regeln infrage stellen. Sicherlich denkt nicht jeder Sprayer darüber nach, ob und inwiefern seine “Tags” eine Kritik an bestehenden Systemen sind, sie werfen aber zumindest indirekt Fragen auf. Auch in diesem Bereich gibt es ästhetische Ansprüche. Gerade die Auseinandersetzung mit dem Thema Graffiti wirft die Frage auf, was Kunst ist und wie sich Kunst definiert. Für mich ist Graffiti sowohl im künstlerischen als auch im gesellschaftlichen Kontext sehr wichtig. Doch wann wird Graffiti für die Gesellschaft zur Kunst? Diese Frage möchte ich durch meine Bilder an den Betrachter weitergeben.
Was hat dich dazu bewogen, dich dem Graffiti zu widmen?
Ich sprühe seit 2004. Meine Ausbildung zum Grafikdesigner habe ich 2012 begonnen. Das Grafikdesign hat einen großen Einfluss auf mein Graffiti genommen. Gerade die Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte, der Typografie und der Malerei inspirierten mich und prägten meinen Stil. Nach der Ausbildung gab es für mich zwei Optionen: Die Arbeit in einer Agentur oder die Selbstständigkeit – der Versuch, mit meiner Kunst Geld zu verdienen. Das hat dann auch funktioniert. Ich habe anfangs zusätzlich viel als Videoproduzent gearbeitet. Irgendwann ging das immer mehr in Richtung Graffiti und Kunst. Mittlerweile kann ich relativ gut davon leben und muss nur noch selten als klassischer Dienstleister arbeiten.
Wie würdest du deinen künstlerischen Stil beschreiben?
Beeinflusst durch das Grafikdesign und die Kunstgeschichte, ist mein Stil sehr klar, konstruiert, grafisch und farbenfroh. Ich versuche meine Buchstaben mehr und mehr aufzulösen und die Formen und Linien auf einer abstrakteren Ebene darzustellen. Geprägt haben mich vor allem Kunstbewegungen wie das Bauhaus und Künstler wie Picasso oder Kandinsky.
Wo kann man deine Graffitis bestaunen?
Viele findet man im Netz, zum Beispiel auf meinem Instagram-Profil. Graffiti ist leider sehr vergänglich, meist bleibt nur ein Foto. Mein Bilder werden oft übermalt. In Berlin sind legale Flächen rar, die Sprüher müssen sich auf nur wenige Wände konzentrieren. Um dem entgegenzuwirken, arbeite ich vermehrt auf Leinwänden. Derzeit ist auch eine Solo-Show in Planung. Ansonsten kann man meine Sachen bei diversen Ausstellungen (zum Beispiel “The Haus” und “Wandelism”) und in der Stadt (zum Beispiel S-Bahnhof Raoul-Wallenbergstraße, Wilmersdorfer Arcaden, S-Bahnhof Poelchaustraße) sehen.
Deine Top 3 Urban Art Kunstwerke in Berlin?
1. Onur, Wes 21, Herakut – Stromstraße 36
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2. Insane 51 – Falckensteinstraße 47/48
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3. HRVB, Wute, Base23 – Berlin Lichtenberg
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Vielen Dank für das Interview!
Weitere tolle Kunstwerke findet ihr in unserer Streetart-Map.