Vielleicht könnt ihr euch noch an das Gespräch zwischen Sigmar Gabriel und der Reinigungskraft Susanne Neumann erinnern. Als frisch gebackenes Parteimitglied wurde sie damals von Gabriel zu einem Diskussionsgespräch zum Thema Gerechtigkeit, auf öffentlicher Bühne, eingeladen. Dabei hielt sie kein Blatt vor den Mund, erzählte offen und beherzt von Problemen aus ihrem Leben und stellte kritische sowie realitätsnahe Fragen. Die Netzgemeinde feierte sie dafür. Dies lag sicher nicht zuletzt daran, dass die Bevölkerung bis heute zunehmend das Gefühl hat, die Politik kümmere sich eher wenig um die wahren Schwierigkeiten des alltäglichen Lebens. Ein digitaler Wahlkampf spielt bei der Bundestagswahl 2017 für die Parteien eine große Rolle. Und er kann durch die Nutzung von Social-Media dem beschriebenen Gefühl entgegenwirken.
Digitaler Wahlkampf: Ein Facebook-Live Dialog
Den Wähler in den Mittelpunkt stellen – dies möchte das neue Social-Media-Format “Frag selbst”, initiiert vom ARD Hauptstadtstudio sowie der tagesschau. Die Nutzer können ihre Fragen im Vorfeld per Mail einreichen oder live auf Facebook in die Kommentare schreiben. Diese werden dann von den wöchentlich wechselnden Spitzenpolitikern im Livestream beantwortet. Dabei werden laut Aussagen der Moderatorin diejenigen Fragen ausgewählt, welche die meisten Likes erhalten. Eine Aufforderung dazu gibt es allerdings nicht. Ebenfalls offen bleibt, wie die Redakteure die Mails selektieren. Für Abwechslung sorgen einige Einspieler, welche Meinungen von Menschen in Fußgängerzonen auffangen sowie 60 sekündliche Frage/Antwort-Sprints, die der jeweilige Politiker nur mit “Ja”oder “Nein” beantworten darf.
Katrin Göring-Eckardt im Gespräch
Den Startschuss gab am Sonntag der Dialog mit Katrin Göring-Eckardt von den Grünen. Einem Facebook Live-Video entsprechend, erschienen während der Übertragung von den Usern gewählte Emoticons als Reaktion auf die gezeigten Inhalte. Im Falle von Göring-Eckardt waren das in erster Linie Wut-Smileys, was wahrscheinlich generell der Stimmung im Netz gegenüber der Politik entspricht und erstmal nicht besorgniserregend ist.
Kommen Wähler tatsächlich zu Wort?
Das neue Format greift den aktuellen Zeitgeist auf und gibt den Bürgern die Möglichkeit, sich durch persönlich relevante Fragen ein Bild über die politischen Haltungen und Vorhaben der jeweiligen Parteien zu machen. Die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios Tina Hassel, welche das Live-Gespräch führt, bestätigt dies:
“Diese Wahl ist anders. Es wird so viel über Politik diskutiert wie selten und gleichzeitig haben viele das Gefühl, nicht gehört zu werden. Hier bestimmen die User, was und wie gefragt wird und ob sie die Antworten überzeugend finden. Das macht den Reiz unseres neuen Formates aus”.
Die Fragen sind aus der Realität gegriffen, die Politik ist so “nah am Volk”. Gleichzeitig bietet sich den Parteien ein großer Vorteil, neue Wähler auf neuen Wegen zu gewinnen, insbesondere Digital Natives. Doch inwieweit die individuellen Anliegen wirklich Gehör finden können, bleibt fraglich – Selektion bleibt Selektion. Dennoch hilft es, einen relevanten und vielleicht sogar entscheidenden Einblick zu gewinnen.
Seht und fragt selbst!
Vergangene Sendungen können auch im Nachhinein in der Mediathek oder auf Facebook angeschaut werden. Ansonsten könnt ihr “Frag selbst” auf folgenden Kanälen verfolgen: im Livestream auf www.frag-selbst.de und www.tagesschau.de sowie bei Facebook auf den Kanälen von tagesschau, ARD-Hauptstadtstudio, Bericht aus Berlin und Das Erste. Tagesschau24 überträgt das Gespräch im Fernsehprogramm.
Alle Termine im Überblick:
- Katrin Göring-Eckardt (Grüne): 2. Juli, 19:00 Uhr
- Sahra Wagenknecht (Die Linke): 9. Juli
- Peter Altmaier (CDU): 16. Juli
- Frauke Petry (AfD): 13. August
- Horst Seehofer (CSU): 20. August
- Martin Schulz (SPD); 27. August 2017
- Christian Lindner (FDP): Termin noch offen
Hier könnt ihr eure Fragen stellen:
- live per Facebook-Kommentar
- Webseite www.frag-selbst.de
- via Video an frag-selbst@tagesschau.de
- Facebook Messenger (Tagesschau)
Bild: @unsplash, Sticker Mule
Super Format, um junge Leute aus der Politikverdrossenheit raus zu holen! Zur Selektion: Selektion durch eine Redaktion kann auch durchaus Sinn machen, nicht jeder Kommentar von sogenannten “Trollen” muss in einer ernsthaften Diskussion auftauchen, das ist zumindest meine Meinung.
Ja das stimmt. Aber ich fände es auch mal super interessant zu beobachten, was passieren würde wenn einfach mal sämtlich eingereichte Fragen auftauchen/gestellt werden. Oder zumindest der Reihenfolge nach drankommen. Das wäre sicher spannend! Dann müssten Politiker vor allem spontan auf Unerwartetes reagieren. Andererseits macht es natürlich Sinn, dass vorher gefiltert wird – sodass die Zeit gut genutzt werden kann. So können die Fragen beantwortet werden, die für viele relevant sind.