Selfies umgeben uns tagtäglich. Selbst wenn wir keine schießen, sehen wir zumindest an jeder Ecke immer wieder einen Smartphone-Besitzer in typischer Selfie-Pose. Umso verwunderlicher, dass ein Museum in London nun die weltweit erste Ausstellung über das Selfie initiiert hat. Angefangen von den Selbstporträts der alten und ebenso berühmten Maler, über Alltags-Aufnahmen und Fotografien zeitgenössischer Künstler, bis hin zu den Promi-Selfies à la Kim Kardashian – die Ausstellung “From Selfie to Self-Expression”, gibt einen spannenden Einblick in die Geschichte des Selbst- und Fremdbildes.
Gab es das Selfie schon immer?
Einer der bedeutendsten und berühmtesten Maler des Barocks, Rembrandt van Rijn, fertigte zahlreiche Selbstporträts an – mit unterschiedlichen Gesten, Gesichtsausdrücken, Kulissen, Rollen und Farben. Mal als Radierung, mal als Zeichnung. Warum tat er das? Wahrscheinlich hatte er eine ähnliche Intention wie die meisten Smartphone-Nutzer des 21. Jahrhunderts, die dem Selfie zwar zunehmend kritisch gegenüber stehen, aber am Ende doch nicht die Finger davon lassen können: Sich selbst inszenieren, ein Denkmal setzen, Erinnerungen festhalten, der Außenwelt das Selbstbild präsentieren oder es gar abändern und so die eigene Wahrnehmung der Persönlichkeit zum Ausdruck bringen. Vielleicht aber auch einfach nur, um sich selbst zu finden?
From Selfie to Self-Expression
Jeden Tag werden ca. 93 Millionen Selfies geschossen. Damit sind die Smartphone-Bilder fester Bestandteil unserer visuellen Landschaft. In London präsentiert nun die Saatchi Gallery, eines der wichtigsten Museen für zeitgenössische Kunst, die erste Ausstellung weltweit, welche sich mit der Geschichte des Selfies befasst. Mit der Expression “From Selfie to Self-Expression” hebt die Galerie Smartphone-Fotografien damit in künstlerische Sphären. Aufgrund des großen Besucherandranges und der vielen Interessenten, wurde die Schau bereits zum zweiten Mal verlängert. Noch bis zum 06. September kann auf zwei Etagen kostenlos die Welt der Selbstinszenierung bestaunt werden. Außerdem wird auf die medialen Effekte in den Bereichen Gesellschaft, Politik und Konsum eingegangen.
Die Ausstellung zeigt sowohl die alten Werke berühmter Künstler wie Frida Kahlo, als auch zeitgenössische Selfie-Kunstwerke. Die Art der Präsentation zieht sich wie ein roter Faden durch die Räume. Jede Abbildung ist in den typischen schwarzen Instagram-Rahmen, inklusive Like-Button eingebettet. Diesen kann der Besucher, wie im virtuellen Raum auch, je nach Geschmack betätigen. Bei den Gefällt mir Angaben lag Frida Kahlos „Selbstporträt. Gewidmet Dr. Eloesser“ von 1940 zeitweise ganz vorne. Die Ausstellung macht den Facettenreichtum von Selbstbildnissen sichtbar und begegnet diesen ganz offen. Von ironischen, ernsthaften oder waghalsigen Bildern, bis hin zu durch die Presse gejagten Promi-Gruppenselfies ist alles dabei. Ähnlich wie bei Rembrandt variieren auch hier die Darstellungsformen: Es wird mit zahlreichen Video-Installationen, Statuen, Porträts und natürlich Fotografien gearbeitet. Indem Nutzer ihre Selfies mit zahlreichen Filtern und Bearbeitungen überoptimieren, werden diese zunehmend zu einem Konstrukt und einem Werk. Einer der Unterschiede zu den alten Gemälden liegt darin, dass sich die Selbstdarstellungen massenhaft reproduzieren und teilen lassen. Christopher Bakers Installation „Hello World! Or: How I Learned To Top Listening And Love The Noise“ zeigt tausende von Online-Video-Tagebüchern, verteilt über drei gewaltige Leinwände, die die Bilderflut 2.0 unterstreichen. Die Ausstellung zeigt, dass Selfies in ihrer Grundform nicht unbedingt etwas Neues sind. Die Menschen porträtieren ihr eigenes Ich schon seit Jahrhunderten.
Durch einen Wettbewerb zum Galeristen werden
Im Jahre 2017 kann im Prinzip jeder Smartphone Besitzer zu einem Selfie-Kreateur werden. Diesem Motto folgend, startete die Galerie gemeinsam mit dem Sponsor der Ausstellung Huawei den Wettbewerb “#SelfExpression”. Im Rahmen dessen wurden insgesamt ca. 14.000 Smartphone-Bilder aus 113 Ländern eingereicht und die besten 10 künstlerischen Smartphone-Bilder ausgewählt. Der Gewinner hat die Aussicht auf eine eigene Ausstellung in der Saatchi Gallery. Dies entspricht dem Leitgedanken des Museums: Die Kunst einer breiten Masse zugänglich machen. Das Rennen machte Dawn Woolley aus Cambridge. Der Künstler fotografierte sich selbst im Bikini, reproduzierte sich und legte sich mit dem Ausschnitt seiner selbst in anziehender Pose auf eine Wiese. Diesen Moment hielt er wiederum auf dem Sieger-Selfie fest. Dawn beschreibt seine Arbeit und die Idee dahinter: “In the work I create a photographic copy of myself and place it in the real world instead of me. By creating artwork that establishes me as an object it could be argued that I produce photographs that reinforce stereotypical images of the female body, but with apparent exhibitionism. I create a substitute that renders my real body invisible”.
Mit sich selbst führt man die längste Beziehung
Selfies – gab es es sie nicht schon immer? Sind die alten Porträt-Malereien berühmter Künstler nicht auch irgendwo Selfies? Können Smartphone-Bilder Kunst sein? Und kann eine Selbstpromotion Kunst sein? Oder sind Selbstdarstellungen am Ende immer nur kommerzialisierte und das Ego polierende Profilierungen? Darauf gibt die Ausstellung keine direkten Antworten. Viel mehr regt sie zu weiteren Fragen an. Zumindest haben die Self-Expression-Selfies der Smartphones und die Selbstporträts der alten Meister einen gemeinsamen Nenner: Sie drehen sich um das Bedürfnis nach Selbstdarstellung, dem Umgang mit der eigenen Identität und der ewigen Suche nach Antworten auf die Fragen: Wer bin ich und wer will ich sein?
Titelbild: