Mensch und Kultur befinden sich in einem ständigen Wandel ohne Ende. Mit den neuen Möglichkeiten ändern sich nicht nur Lebensstil und Ansprüche, sondern auch die Kompetenzen einer Gesellschaft. Der Geisteswissenschaftler Henry Jenkins brachte es auf den Punkt: „In einer Jäger-und-Sammler-Gesellschaft spielen die Kinder mit Pfeil und Bogen. In einer Informationsgesellschaft spielen die Kinder mit der Information.“ Im Falle des Informationszeitalters sind wir alle Kinder, welche sich vor allem durch neue mentale Fähigkeiten zu profilieren scheinen.
Medien sind nicht nur Trägersysteme für Information, sondern schaffen Kultursysteme für ihre Nutzer. Mit den Innovationen wachsen die Bedeutungsräume einer Gesellschaft, in welchem kulturelles Verhalten und Denken geprägt werden. Ein solcher Bedeutungsraum ist zum Beispiel Facebook. Wissen wird geteilt, digitale Umgangsformen entwickeln sich und werden in die reale Welt integriert. Der Mensch ist nicht mehr nur Mensch, sondern User. Was er in der realen Welt tut, geschieht vor dem Hintergrund einer digitalen Welt, welche er mit eigenen Inhalten bespielt, gestaltet und für seine Interessen benutzt. Der Blick auf das Leben wird von unseren Erfahrungen im Web gefiltert. Ein übertragener Hashtag “Nofilter” ist für die Perspektive auf das reale Leben genauso Retro wie der Sepia-Filter auf Instagram. So vernetzen wir die verschiedenen Ebenen des Lebens und erlernen eine Kommunikation, die in sich geschlossen und medienübergreifend ist.
Der User hat gelernt, seine Gestaltungsräume zu nutzen, um seine Geschichte zu erzählen. Er springt von einem Kanal zum nächsten, ist wandelbar und mobil. Seine Message bleibt dieselbe und ist crossmedial – sollte sie zumindest sein. Andernfalls steht die Authentizität in Gefahr, das höchste Charakter-Gut aller Influencer. Die Medienkompetenz befindet sich vom Kinogang bis zum Tweet in einem ständigen Wandel. Henry Jenkins definiert unter dem Schlüsselbegriff Medienkompetenz X.0 elf Fähigkeiten, die sich unter den Nutzern ausprägen. So bezeichnet er zum Beispiel mit „Play“ die Fähigkeit des spielerischen Umgangs der Menschen mit ihrer Umgebung, um kreativ nach Lösungen zu suchen – eine Art Gamification des realen Lebens. „Performance“ bedeutet, dass der Mensch zunehmend fähig ist, sich in alternative Identitäten zu versetzen. Dies ist hilfreich, um neue Erfahrungen zu machen, sich auszuprobieren und zu improvisieren. Ebenso die Fähigkeit zur Simulation oder kollektiven Intelligenz: Die sich weiterentwickelnden Medienkompetenzen prägen unser Selbstverständnis und den Umgang mit unserer Umwelt.
Schon Kinder lernen mithilfe von Geräten, mittlerweile auch Software, ihre mentalen Fähigkeiten zu erweitern. Gleichzeitig stärken sie mit dem Heranwachsen ihr Urteilsvermögen gegenüber verschiedenen Informationsquellen. Die Vielseitigkeit und Varianz der Kommunikationsmöglichkeiten erfordert Multitasking. Das Scannen der Umgebung und die bei Bedarf notwendige Verlagerung der Aufmerksamkeit auf einzelne Details sind zu alltäglichen Prozessen geworden. Die Anforderungen einer digitalen Gesellschaft an das Individuum setzen das Potential von mentalen Fähigkeiten frei, welche zwar schon immer da waren, jedoch nicht in dieser Intensität benötigt wurden. Abstraktes Denken arbeitet die Mechanismen der Informationskultur heraus und überträgt sie auf konkrete Prozesse. Die Weiterentwicklung führt jedoch auch zu neuen Bedürfnissen. Die komplexen Anforderungen machen den Menschen unabhängiger, können ihn aber auch isolieren. Social Media kann den zwischenmenschlichen Kontakt nicht ersetzen. Der Informationsaustausch durch Trägermedien wird oft mit einem persönlichen Dialog verwechselt. Doch je mehr eine digitale Interaktion stattfindet, desto mehr benötigen die User echte Beziehungen. „Soft Touch“ ist schließlich ein menschliches Grundbedürfnis, welches nicht nur die mentale Gesundheit, sondern auch die Qualität der Kommunikation langfristig bestimmt.
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