Der englische Autor Charles Leadbeater beschreibt die Beschleunigung von Musik im direkten Zusammenhang mit dem Zeitgeist: „Jazz wurde vom Boogie Woogie, Rock ‘n Roll, Disco, Punk, Techno, und House abgelöst. Unsere Musik antwortet auf die Geschwindigkeit unserer Gesellschaft – oder reguliert sie.“ Technologien beeinflussen alle Ebenen des Alltags: Kommunikation, Ernährung und Bewegung – alles geschieht in einem zeitlichen Rahmen, den jeder für sich selbst definiert. Technik vereinfacht es, einen gemeinsam Takt zu finden.
Die technische und soziale Dimensionen der Beschleunigung führen zu einer Beschleunigung des Lebens. Seit der Industrialisierung jagt eine Transportrevolution die nächste. Die technischen Möglichkeiten der Herstellung von materiellen Gütern führen zu mehr Kommerzialisierung und erfordern daher gemeinsame Standards für Technologien. Prozesse müssen nachvollziehbar, messbar und effizient sein, damit die Möglichkeiten des Fortschritts ausgeschöpft werden können.
Technologien beschleunigen ebenfalls den sozialen Wandel. Egal ob Mittel-, Ober- oder Unterschicht: Familien erhalten durch die zunehmende Vernetzung Zugang zu den gleichen Informationsressourcen und können zwischen mehreren Optionen wählen, um ihr Leben zu gestalten. Die Kontextbedingungen einer Klassengesellschaft sind aufgehoben, Handlungsmöglichkeiten demokratisiert. Dadurch werden Lebenswege dynamischer. Die Stabilität der religiösen und gesellschaftlichen Traditionen wird durch Selbstbestimmung ersetzt.
Gleichzeitig sehen sich die Menschen neuen Ängsten ausgesetzt. Eine säkularisierte Gesellschaft wird sich ihrer begrenzten Lebenszeit bewusst und möchte die Möglichkeiten ihrer Zeit voll auskosten. Die Verpassensangst führt zu dem Zwang, sich anzupassen: Der Lifestyle ist geboren. Nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“ finden Interessengruppen thematische Schnittmengen, um eine Community aufzubauen und ihr Hobby auszuleben. Die Qual der Wahl führt am Ende doch zur Subkultur.
Hinter den Ebenen der Beschleunigung stehen verschiedene Denkmuster. So gibt der ökonomische Motor Impulse für die technische Beschleunigung. Der amerikanische Historiker Lewis Mumford erklärte: „Die Uhr und nicht die Dampfmaschine ist die Schlüsselmaschine des Industriezeitalters.“ Die Trennung von Arbeit und Freizeit sollte zu mehr Effizienz führen. Heute werden die Boxen mehr und mehr abgeschafft. Arbeit ist ein Lebensstil, welcher sich durch die technischen Innovationen überall leben lässt, auch in der Freizeit. Gleichzeitig erhält die Freizeit Einzug in die Arbeitswelt: Ob Kegelbahn bei Google oder Yoga-Kurse bei Eventbrite – Mitarbeiter verschmelzen Arbeit und Hobby zu einem organischen Lebensstil.
Die Steigerung der Geschwindigkeit von Herstellungs- und Entwicklungsprozessen bestimmen den sozialen Wandel. Innovationen vermindern Stabilität und Planbarkeiten. Lebenspläne gehören der Vergangenheit an. Eine Berufsausbildung bestimmt nicht länger die Zukunft eines Menschen. Stattdessen gliedert sich das Leben in Phasen und Projekte, welche so schnell wechseln wie der technologische Status Quo. Die Beschleunigung verspricht dabei ein Auskosten der Weltoptionen. Erlebnisepisoden sollen vermehrt und verdichtet, das Leben gelebt werden. Aus den neuen Denkweisen ergeben sich neue Gebote für eine Gesellschaft: Das Verschwendungsverbot und das Effizienzgebot. Zeitverschwendung ist eine Sünde. Werden Ziele nicht erreicht, so muss sich das Individuum rechtfertigen.
Vor diesem Hintergrund muss sich jeder selbst fragen: Was heißt „Zeit für mich haben“? Um diese Frage zu beantworten, muss eine Fähigkeit zur Wahrnehmung eigener Rhythmen und Bedürfnisse entwickelt werden. Das kann bedeuten, dass man vor dem Schlafengehen mal nicht die Emails checkt und sich eine wohlverdiente Pause gönnt.
Bild: Adam Porter, Unsplash