Wo manche eine neue Form des Eskapismus befürchten, sehen andere Chancen für die nächste Stufe der menschlichen Entwicklung. Das Eintauchen in fremde Welten habe es schon immer gegeben, so die Experten. Tatsächlich sei der Mensch darauf ausgelegt, sich in fremde Konzepte und Sachverhalte hineinzudenken, um zu erleben und zu lernen. Jedoch sehen Kritiker mit den neuen Möglichkeiten der Virtual Reality ein ungeahntes Ausmaß an Gefahren auf die Gesellschaft zukommen.
Der Begriff der Immersion bezeichnet den Prozess des Eintauchens eines Users in eine virtuelle Realität. Durch die visuellen Stimuli tritt das Bewusstsein des Menschen in den Hintergrund; stattdessen empfindet er die virtuelle Realität als real. Im Falle einer besonders starken Immersion wird der Status “Präsenz” genannt. Eine Immersion findet beim Anschauen eines Filmes zwar genauso statt, jedoch in geringerem Grad. Durch die Interaktion – beginnend bei Video-Spielen bis hin zu VR-Brillen – des Users mit einer virtuellen Realität, ist eine stärkere Intensität der Immersion möglich. Maßgebend für die Immersion ist dabei nicht die Realität, sondern die Erfahrung. Die Wahrnehmung des Users wird vom Erlebnis getrieben – es entsteht eine subjektive, alternative Realität.
Die US-amerikanischen Professorin für digitale Medien Janet H. Murray definiert den Begriff der Immersion beinahe poetisch: “Immersion ist ein metaphorischer Begriff, abgeleitet von der physikalischen Erfahrung des Untertauchens in Wasser. Wir suchen nach demselben Gefühl einer psychologisch immersiven Erfahrung wie wir sie von einem Sprung ins Meer oder den Swimming Pool erwarten: Das Gefühl, von einer vollständig anderen Realität umgeben zu sein, so unterschiedlich wie sich das Wasser zur Luft verhält, die unsere gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht, unseren gesamten Wahrnehmungsapparat.“
Der Grad der Immersion ist immer abhängig von der Attraktivität einer Interaktion. Der User muss die Möglichkeit, sich auf eine virtuelle Realität aktiv einzulassen, als interessant und natürlich empfinden. Gleichzeitig ist die Intensität abhängig von der Persönlichkeitsstruktur des Users. Oft kommt es vor, dass sich der Nutzer nach einem intensiven Eintauchen erst wieder an die reale Welt gewöhnen muss.
Richard Bartle ist Autor und Forscher von Computerspielen. Er unterscheidet bei der Immersion zwischen vier unterschiedlichen Stufen:
- Player: Die Spielfigur wird vom User als ein Mittel zum Zweck gesehen, um die virtuelle Umwelt zu beeinflussen.
- Avatar: Die Spielfigur wird vom User als eine Wiedergabe der eigenen Persönlichkeit gesehen, über welche sie interagieren.
- Character: Die User identifizieren sich mit der Spielfigur und sprechen über sie in der ersten Person.
- Persona: Der User sieht die Spielfigur als festen Bestandteil seiner eigenen Identität. Der User betrachtet sich selbst als einen Teil der virtuellen Realität.
Forscher aus der Neurologie und VR-Experten sprechen bereits von einer Virtual Psychology, denn durch die Immersion lassen sich Denkmuster und somit die Wahrnehmung von Realität verändern. Forscher haben herausgefunden, dass User, welche in der virtuellen Realität einer Minderheit angehören, danach ihrer Umwelt toleranter begegnen. Die Identifikation mit Superhelden wiederum führt nachweislich zu einem sozialeren Verhalten. Kritiker warnen vor einem unbedachten Einsatz von VR-Technologie – die Risiken des andauernden Einflusses von VR seien noch nicht bekannt und einschätzbar. Wie sollen Menschen bei einer zunehmenden Verschmelzung von VR-Technologie im Alltag zukünftig zwischen virtueller und tatsächlicher Realität unterscheiden? Was passiert, wenn die Technologie in die falschen Hände gerät und zu manipulativen oder gar zu Folter-Zwecken eingesetzt wird? Psychologen sehen bereits jetzt Erfolge bei der Anwendung von VR zur Behandlung von Phobien oder Traumata. Doch wo gelindert werden kann, könnte womöglich auch Schaden verursacht werden.