Ob Kim Kardashian-West in Selfish, Buzz Aldrin im Weltall, Weltstars bei der Oscar Verleihung oder der Otto Normalverbraucher in sozialen Netzwerken: Selfies sind aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken. Eine Vorreiterin der Selbstporträts ist Cindy Sherman, eine der erfolgreichsten und teuersten Künstlerinnen der Welt. Sie wurde vor allem durch ihre feministisch provokanten Bildnisse bekannt. Jetzt ist die Fotografin mit über 600 Bildern auch auf Instagram aktiv. Scrollt man durch ihren Account so könnte man denken, in der Selfie-Hölle gelandet zu sein: Lauter verzerrt groteske Gesichter und Selbstinszenierungen. Eine Kritik am Schönheits- und Selbstoptimierungswahn? Wie provoziert eine Cindy Sherman 2.0?
Provokante Porträts damals und heute
Seit dem Vormarsch der Fotografie ist die Königin der Selbstdarstellung Cindy Sherman. Bekannt wurde die mittlerweile 63-Jährige US-Amerikanerin mit einer Serie von Schwarzweiß-Fotografien, den ‘Untitled Film Stills’ (1977). Jedes einzelne dieser 69 Fotos zeigt sie selbst, Cindy Sherman. Und doch könnten die Fotos nicht unterschiedlicher sein. Bild für Bild, Foto für Foto nimmt die Künstlerin eine andere Frauenrolle an. Mal ist sie Cindy, das trotzige Kind, mal Cindy, die Stenotypistin, mal Cindy, die Bibliothekarin. Auf diese Weise thematisiert sie neben der Identitätsfindung, den Feminismus und die Gender-Diskussion. Mit ihren Fotografien rückt sie außerdem das Spannungsfeld zwischen Künstlichkeit und Wirklichkeit in den Fokus: Was ist wahr und was Illusion?
Cindy Sherman übt Selfie-Kritik auf Instagram: Gruselig oder langweilig?
Was damals bereits als provokant galt, wirkt im Lichte der von Cindy Sherman neu veröffentlichten Bilder harmlos. Auf ihrem kürzlich gestarteten Instagram-Account springen einem zahlreiche verzerrte Gesichter entgegen. Viele von ihnen wirken wie die Ergebnisse missglückter Schönheitsoperationen. Sherman nutzt diverse Bildbearbeitungsapps und dreht den Spieß um: Eigentlich sollen die Anwendungen Bilder optimieren, eine nachträgliche Modellation und das digitale Auftragen von künstlichem Make-Up ermöglichen. Indem die Fotografin die Bilder nun ausgerechnet mit einer Schönheitsapp entstellt, übt sie Kritik am Optimierungswahn und macht sich über den Selfie-Kult lustig. Auf einem der Bilder zerfällt ihr Gesicht in Einzelteile, auf dem Nächsten liegt sie im Krankenhausbett und sieht aus, als sei sie in den Schminktopf gefallen. Große Augen, kleine Ohren, verzerrte Lippen: Manche Selfies sind witzig, die meisten jedoch sehr verstörend – was typisch für die Werke der Künstlerin ist.
Selfies zwischen Kult und Narzissmus
Für einen gelungenen Schnappschuss muss man längst kein Experte mehr sein. Mit Smartphone und diversen Bildbearbeitungsprogrammen kann das digitale Selbstporträt im Handumdrehen erstellt, bearbeitet und geteilt werden. Doch woher kommt das allzu selbstdarstellerische Bedürfnis? Was bewegt Menschen dazu, mitten auf der Straße ihre Arm gen Himmel zu strecken, ein krampfhaft wirkendes Lächeln aufzusetzen und dabei beinahe den nächsten Laternenmast zu streifen? Selfies können schöne Momente festhalten, die man mit anderen oder mit sich selbst verbracht hat. Doch Fakt ist auch, dass das Schönheitsideal der heutigen Zeit immer mehr Menschen dazu verleitet, das eigene Bild perfektionieren zu müssen – sei es durch Schönheitsoperationen, Diätpläne, materielle Besitzgüter oder eben durch und mit einem Selfie.
Auch wenn Cindy Shermans Instagram-Bilder verstörend sind, so sind die Kritik-Momente an sich eigentlich nichts Neues. Deshalb erntet die Künstlerin auch kritische Stimmen. Das Fazit des Magazins monopol lautet deshalb beispielsweise: eher uncool. Und zum hübsch Ansehen sind sie schließlich nicht gedacht. Oder doch?
Titelbild: @Jan Zuppinger, flickr