Kaum eine andere europäische Hauptstadt hat eine derart einzigartige und von Wandlungen geprägte Historie wie Berlin. Doch es sind noch längst nicht alle Geschichten erzählt. Bewegen wir uns durch die Straßen der Hauptstadt, ist uns oftmals gar nicht bewusst, dass sich hinter jeder Ecke spannende Hintergründe und persönliche Schicksale verbergen. Die kostenlose berlinHistory-App möchte die großen und kleinen Ereignisse der Berliner Stadtgeschichte greifbar machen und Recherche-Ergebnisse vor dem Verstauben retten. Je nachdem, wo Ihr Euch befindet, erscheinen im Display an Ort und Stelle Bilder, Routen mit Audioguides und Zeitleisten-Ansichten zu dem jeweiligen Standort. Oliver Brentzel hat mit uns über die App gesprochen. Dabei hat uns der Grafikdesigner von “berlinHistory” auch seine historischen Kiez-Tipps verraten.
Wie sind Sie auf die Idee zur App “berlinHistory” gekommen?
Ich habe mich schon immer für Geschichte interessiert und historische Fotos im Internet gesucht. Dabei bin ich auf verborgene Schätze gestoßen und habe mich gefragt, warum es keine App gibt, die diese Dokumente ortsbezogen anzeigt. 2013 konnte unser Team mit der Rummelsburg App eine erste App umsetzen, die Geschichte ortsbasiert über verschiedene Epochen erlebbar macht. Seitdem machen wir uns Gedanken über das Konzept und die Möglichkeiten der Umsetzung. Wirklich intensiv arbeiten wir jetzt seit ungefähr zwei Jahren an dem Projekt.
Ist die App eher etwas für Touristen? Für wen ist sie konzipiert?
Wir möchten mit unserer App jeden ansprechen, der sich für Geschichte interessiert. Berliner können ihren Kiez erkunden oder, wo auch immer sie gerade in der Stadt unterwegs sind, die Geschichte ortsbasiert erleben. Die App richtet sich natürlich auch an Touristen. Alle wichtigen Sehenswürdigkeiten werden auch bei uns gezeigt, aber wir wollen Touristen und Berliner eben auch auf Orte und Geschichten stoßen lassen, die nicht so offensichtlich sind. Wir wollen also die verborgenen Schichten der Geschichte sichtbar machen.
Inwieweit wird die App später einmal sämtliche Bezirke und Ecken Berlins abdecken oder bestimmte historisch bedeutsame Orte erfassen?
Spätestens zum „Themenenjahr 2020″ wollen wir in allen Bezirken flächendeckend vertreten sein. Es geht uns aber nicht nur um historisch bedeutsame Orte, sondern auch um Geschichte und Geschichten aus den jeweiligen Kiezen, die anhand historischer Fotos erkundet werden sollen. Beispielsweise zeigen sie, wie die Straßen vor 100 oder 200 Jahren ausgesehen haben.
Berlin auf der Karte erkunden
berlinHistory soll eine offene digitale Plattform sein, die jeder mit Inhalt füllen kann – ähnlich wie bei Wikipedia. Wie planen Sie die Qualitätssicherung?
Das Feedback nach dem Start unserer App war überwältigend und viele spannende Leute haben uns daraufhin ihre Mitarbeit angeboten. Wir führen Gespräche mit allen, die mithelfen möchten und überlegen dann, wie wir sie einbinden können. Es wird keine Inhalte geben, die ungeprüft in berlinHistory veröffentlicht werden. Wir erarbeiten gerade ein Review-System, bei dem diejenigen, die mitarbeiten, auch andere Inhalte prüfen. Dabei bilden Historiker und Zeitzeugen, die sich in einem bestimmten Gebiet gut auskennen, eine Art Expertenrat zu bestimmten Themen. Unsere Projektpartner, wie die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die Stiftung Berliner Mauer oder die Robert-Havemann-Gesellschaft, beraten uns auf ihren jeweiligen Spezialgebieten.
Auf welche Art und Weise integrieren Sie Zeitzeugen in das Projekt?
Wir binden Zeitzeugen mit allen Medienarten in die App ein, also als Videos, Audios oder in Textform. Die Inhalte erstellen wir zum Teil selbst oder in Zusammenarbeit mit unseren Partnern. Wir sind auch in Gesprächen mit Zeitzeugen-Portalen, um deren Inhalte in der berlinHistory-App zu veröffentlichen.
Welche Stationen sind Ihrer Meinung nach besonders interessant?
Auf der Startseite finden sich bereits einige interessante Themen. Ich als Grafiker habe immer großen Spaß daran, die Geschichte visuell greifbar zu machen. Ein Highlight sind hier unsere Zeitleisten, bei denen wir aus verschiedenen Epochen das gleiche Bildmotiv übereinander blenden. Die historischen Karten, die wir passgenau georeferenziert über die digitalen Karten legen, sind auch eine schöne Sache. Der Straube-Plan von 1910 zeigt das gesamte Stadtgebiet auf die Hausnummer genau an. Die Gewerbeausstellung vom 1896 in Treptow mit dem historischen Übersichtsplan ist auch für die meisten Berliner etwas Neues und Überraschendes.
Damals und heute: Die Waldemarstraße 1986 und 2018
Wie sehen die nächsten Schritte aus?
Die aktuelle Version von berlinHistory ist erst der Anfang. Der nächste Schritt werden die Themen-Layer unserer Projektpartner sein. Beispielsweise möchten wir zum 75. Jahrestag des Umsturzversuchs gegen Hitler am 20. Juli gemeinsam mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus erinnern. Dabei sollen die Geschichten vieler unterschiedlicher Widerstandskämpfer*innen im Berliner Stadtraum verortet werden.
Auf welche weiteren Highlights können sich die Nutzer der App freuen?
Den nächsten großen Schritt zur Weiterentwicklung von berlinHistory wird das SchulTool sein. Damit wird es möglich sein, die Ergebnisse geschichtlicher Projektarbeiten innerhalb der App zu veröffentlichen. Weiterhin arbeiten wir daran, ein Augmented-Reality-Modul in die App einzubinden, um damit die Vergangenheit sichtbar zu machen. Ein erster Schritt wird hier ein 3D-Modell der Berliner Mauer sein. Wir denken aber auch darüber nach, die große Halle der „Welthauptstadt Germania“ in 3D nachzubauen und so die Unmenschlichkeit dieser Gigantomanie erlebbar zu machen.
Es gibt noch viele weitere Ideen. Im Grunde ist es das Prinzip unserer App, nie fertig zu sein.
berlinHistory zeigt Berliner Dom und Schloss im Wandel der Zeit
Screenshots: App berlinHistory