Was macht das Smartphone mit uns, wenn wir reisen? Ein Gastbeitrag von Philipp Laage, Reisejournalist bei der dpa, Reiseblogger auf reisedepeschen.de und Autor des Buchs „Vom Glück zu reisen“. Darin beschäftigt er sich selbstkritisch und humorvoll anhand seiner Erlebnisse mit den inneren Themen, die auftauchen, wenn man die Welt erkundet. Was zeichnet eine Reise aus? Welche Sehenswürdigkeiten kann man sich sparen? An welchem Ort wartet das Paradies? Was ist ein Abenteuer? Wo ist es noch authentisch? Und vor allem: Wie kann das Smartphone die Erfahrung des Reisens zerstören?
Das Smartphone auf Reisen – Dein Feind und Helfer
Mit Anfang zwanzig sind meine Freunde und ich jeden Sommer in den Alpen wandern gewesen. Mit dem Rucksack von Hütte zu Hütte. Wir liefen täglich mehrere Stunden über Almwiesen, Geröllfelder und ausgesetzte Scharten. Wir froren am Morgen und schwitzten am Mittag. Hin und wieder fluchten wir, wenn es stundenlang regnete. Wir schliefen auf Matratzenlagern in Alpenvereinshütten. Abends saßen wir erschöpft bei Tiroler Gröstl und Radler in der Stube. Und dann redeten wir, bis uns die Augen zufielen.
Doch in dem Sommer, als wir in die Ortler Alpen nach Südtirol fuhren, veränderte sich etwas. Das lag an der Telekom, die in einem EU-Land der Wahl ein kostenloses Datenpaket anbot – ein Türspalt zur Welt hinter den Bergkämmen. Damit kehrte eine Zerstreuung in die Abende auf den Hütten ein, die es vorher nicht gegeben hatte.
Tagsüber befanden sich die Smartphones im Rucksack oder in der Tasche. Abends lagen die Geräte im Gastraum der Hütte auf dem Tisch. Einer chattete mit seiner Freundin, ein anderer scrollte durch seine Facebook-Timeline, der Dritte verfolgte Twitter und der Vierte las den Bericht zum letzten Spiel von Borussia Dortmund. Die Gedanken entschwanden aus der Reizarmut der Berghütte, in der ja eine Möglichkeit lag: Zeit haben, zuhören, reden. Doch unsere Gespräche waren kurz. Sie nahmen immer wieder neue Anläufe, nur um rasch zu versanden. So blieben die Abende statisch. Mir fiel das erst auf, als ich schon wieder zu Hause war.
Wie selten ist das geworden: An einem Tisch sitzen und reden. Heiter, manchmal ernst, stundenlang. Dieses scheinbar ziellose Hin und Her der Gedanken bis zu einer bestimmten Stimmung, die plötzlich etwas verändert, nach der man sich anders begegnet, weil man den anderen mit neuen Augen sieht und diesen ozeantiefen Graben, der zwischen den individuellen Erfahrungswelten zweier Menschen liegt, ein kleines bisschen zuschütten konnte. Stattdessen unpräzise, abgekämpfte Sätze.
Das Smartphone ist einfach verflucht hilfreich. Unscheinbar liegt es neben dem Teller beim Frühstück und auf dem Nachttisch im Hotelzimmer, dieses kleine Gerät. Doch es hat die Macht, die Erfahrung des Reisens zu zerstören – aus vier Gründen.
Erstens: Der permanente Zugriff auf Social Media füttert eine kaum zu bezwingende Selbstbezüglichkeit
Was sagt das Foto von mir vor der Golden Gate Bridge? Doch nicht: Wie beeindruckend diese Brücke ist! Sondern: Ich bin San Francisco, du bist Sankt Peter-Ording. Nicht: Schau dir diese ingenieurstechnische Meisterleistung an. Sondern: Schau mich an! Mein glorreiches Leben!
Zweitens: Die Bewertungskultur des Netzes verunmöglicht zunehmend die Überraschung, das Abenteuer
Fast alles lässt sich vorher recherchieren, überprüfen, kontrollieren. Immer gibt es eine andere, womöglich bessere Option, die vielleicht übersehen wurde.
Drittens: Das Smartphone verführt zur ständigen Rückkehr in die Heimat
Der permanente Einfall des Vertrauten verhindert die Verortung in der Fremde. Das Gefühl des Entrücktseins, des Sichentziehens, des Verschwindens, nicht nur räumlich, sondern als spirituelles Programm, um dadurch einen neuen Blick auf die Dinge zu gewinnen – es kann sich nicht mehr einstellen.
Viertens: Die Beschäftigung mit dem Smartphone beschädigt gezielt die Fähigkeit, uns einer Sache ausgiebig und ohne Ablenkung zu widmen.
Das Smartphone zerstört unsere Aufmerksamkeit. Das ist keine Begleiterscheinung der Technik, sondern Ziel der Technologiekonzerne.
Der Griff zum Smartphone ist die Universalhandlung dieser Tage, so automatisiert, dass wir sie oft nicht bemerken. Dieser fragmentierte Rhythmus, durch die Welt zu stolpern, ist der Erfahrung des Reisens besonders abträglich. Die Zwischenräume, in denen wir über das Gesehene und Erlebte reflektieren, verschwinden. Was war das eigentlich genau, was ich beobachtet habe? Was hat es bedeutet, auch für mich persönlich? Was nehme ich daraus mit? Welche Einsicht habe ich gewonnen? Wer sich einen Reim auf die Welt machen will, braucht einen inneren Raum, der nicht permanent mit Informations-Gerümpel vollgestellt wird. Hat sich jemals ein Reisender an die Stunden erinnert, die er mit dem Handy verbracht hat?
Fazit
Ich habe mein Smartphone auf Reisen immer dabei. Die Kunst liegt darin, die nützlichen Informationen in möglichst kurzer Zeit aufzunehmen und dann die Finger vom Gerät zu lassen. Muss ich ein Busticket kaufen oder einen Treffpunkt finden? Oder brauche ich Social Media, um meine Einsamkeit zu lindern? Auf Reisen sind die Leute kontaktfreudig, da lässt sich auch ein wortkarger Netzwerkadministrator zu einem zwanglosen Plausch hinreißen.
Die höchste Kunst ist so simpel wie schwierig: Immer nur eine Sache tun, ohne Ablenkung. Wenn das gelingt, sind wir wirklich präsent. Im Übrigen klappt es dann sogar mit dem wichtigsten Urlaubsmotiv – der Erholung.