Too long; didn’t read:
Das war die re:publica 2019

republica 2019: Schriftzug Motto tl;dr an der Wand in der Halle

tl;dr – so lautet das diesjährige Motto der re:publica 2019. Das Kürzel steht für “too long; didn’t read”. Diesen Ausdruck verwenden Nutzer, wenn sie einen Text aufgrund seiner Länge nicht vollständig lesen wollen. Dabei kann es sich lohnen, hinter die Kulissen zu schauen: Die Veranstalter der weltweit wichtigsten Messe für digitale Gesellschaft sowie Themen und Innovationen rund um das Web 2.0 möchten genau hier ansetzen. Denn in diesem Jahr sollte der Fokus ausdrücklich auf dem Kleingedruckten liegen, auf “den Fußnoten. Der Kraft der Recherche, dem Wissen und der Kontroverse. Der Notwendigkeit und Dringlichkeit, die Themen kritisch zu hinterfragen, die polarisieren, uns spalten – oder auch vereinen.”

 

Dementsprechend ging es vom 06. bis 08. Mai in der STATION-Berlin um die großen Themen unserer Zeit, von Big Data über Fake News und Shitstorms bis hin zu den Chancen der Digitalisierung für Gesellschaft und Klimawandel. Die Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen ist nicht immer angenehm, aber von großer Relevanz. Bei der re:publica wurde wieder fleißig diskutiert und gebrainstormt – immer mit einem kreativen Auge in Wohnzimmeratmosphäre. Wir waren vor Ort und haben einige Eindrücke für euch festgehalten.

Wir brauchen eine Demokratisierung des Digitalen

republica 2019: Rede vom Bundespräsidenten
Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf der re:publica. Foto: Jan Zappner/re:publica

„Wenn uns die Zukunft dieser Demokratie am Herzen liegt, dann müssen wir uns um die politische Debattenkultur im Netz gemeinsam kümmern“ – Mit diesen Worten eröffnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die re:publica und Media Convention. Die wichtigste Aufgabe ist demnach nicht die „Digitalisierung der Demokratie, sondern die Demokratisierung des Digitalen“, so Steinmeier.

Habe ich Sie beleidigt? Ach, das war doch im Internet

Die Demokratisierung des Digitalen ist insbesondere im Lichte der zunehmenden Hasskommentare und Shitstorms von großer Bedeutung. Geschützt durch die vermeintliche Anonymität des Internets, kommt es zu Beleidigungen denen jegliche Sachebene fehlt und die im echten Leben so wahrscheinlich nicht ausgesprochen worden wären. Das kann fatale Folgen haben und entwickelt eine undurchschaubare Eigendynamik.

 

republica 2019: Talk: Wut in Zeitlupe: Analyse von Empörungswellen auf Twitter; Speaker: Luca Hammer
Talk: Wut in Zeitlupe: Analyse von Empörungswellen auf Twitter; Speaker: Luca Hammer; Foto: Jan Michalko/re:publica

Wie entsteht ein Shitstorm? Wie viele Nutzer waren daran beteiligt? Auf der re:publica untersuchte Luca Hammer von ruhefaktor eine solche Empörungswelle anhand zahlreicher Tweets. Er bezog sich auf einen Shitstorm der sich Anfang des Jahres gegen die ZDF-Reporterin Nicole Diekmann richtete, welche in einem Beitrag den Ausdruck „Nazis raus“ nutzte. Diekmann war ebenfalls Gast in einem Panel der re:publica und berichtete dort über ihren Umgang mit diesen Hasskommentaren. Auslöser war, dass ein User sie fragte, wer denn für sie Nazis seien. Die Reporterin reagierte mit einem Witz, den allerdings nicht jeder als solchen verstand: „Jede/r der/die nicht die Grünen wählt“. Im Nachhinein denkt Nicole Diekmann, hätte sie vielleicht besser einen Zwinker-Smiley hinter den Satz setzen sollen. Doch was, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist? Laut den Experten, kann Humor Wunder wirken – er hilft zwar nicht immer, gibt der allgemeinen Leserschaft aber ein “besseres Gefühl”.

Big Data: Wissen ist Macht, kann helfen und gefährden

Tagtäglich werden immer mehr Daten von uns gesammelt – das verleiht den Personen, die auf sie zugreifen können eine große Macht, birgt genau dadurch auch Gefahren und erfordert einen verantwortungsvollen Umgang. Big Data eröffnet jedoch auch Chancen: Zum Beispiel kann datengetriebener Journalismus Falschmeldungen verhindern und Objektivität fördern.

Gegen Einsamkeit: Vernetzung von Stadt und Land

Anhand der neu gewonnenen Informationen können nicht nur Unternehmen die Bedürfnisse ihrer Kunden besser verstehen, sondern Hilfsorganisationen auch ihre Prozesse verbessern und beschleunigen. Beispielsweise zeigte das Team der DRK, wie mit digitalen Anwendungen der Einsamkeit älterer Menschen auf dem Land entgegenwirkt werden kann.

Museen 2.0: Eine räumliche Erweiterung

republica: Umdenken für die Digitale Gesellschaft: Institutionen als Dritte Orte
Umdenken für die Digitale Gesellschaft: Institutionen als Dritte Orte Speaker von links nach rechts: Thomas Köhler, Wiebke Rössig, Danilo Vetter, Paul Spies; Foto: Jan Michalko/re:publica

Der Kultursektor ist einer der großen Gewinner der Digitalisierung. So können Museen beispielsweise nicht nur ihren Bestand digital sichern. Das ist erst der Anfang. Es bieten sich ganz neue Möglichkeiten für die Themengestaltung. Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie, hat eigens dafür die Arbeitsgruppe “Digitalstrategie” gegründet. Seiner Meinung nach ist die Digitalisierung “ein sehr wichtiger Prozess für die Museen insgesamt, die ja nicht gerade als Ausgeburt der Innovationen gelten. Museen sind sehr langsame Orte. Es braucht eine Weile bis da überhaupt etwas passiert. Sie sind aber auch Orte, die sich immer noch sehr stark als Forschungsinstitute begreifen”.

 

Es braucht daher eine Ganzheitlichkeit, die Verbindung der Elemente eines Museums: Vermittlung, Kommunikation, Forschung und Ausstellen. Mittlerweile integrieren viele Ausstellungen digitale Elemente und machen das jeweilige Thema so noch greifbarer: “Wir haben herausgefunden, dass wir das Museum allein als Ort vielleicht gar nicht brauchen, sondern, dass es auch den digitalen Raum gibt, in dem man genauso Museumsarbeit leisten kann (…) Es ist wichtig sich nicht an Objekten festzuhalten, sondern über den eigentlichen Museumsraum hinauszugreifen und da entstehen plötzlich viele neue Möglichkeiten, man lernt neue Leute und Partner kennen, von denen man viel lernen kann.” Auf die Frage hin, wie das Museum der Zukunft denn wohl aussehen könnte, antwortet Köhler: “Vielleicht nehmen wir Abschied von den herkömmlichen Museumsräumen. Vielleicht wird es jenseits des Kommerziellen Freiräume wie Community Centers geben.” Der Zugang zur Kultur, die Eintrittspreise und Öffnungszeiten, muss aber nochmal fundamental überdacht werden, so der Direktor.

Digitaler Umweltschutz: Handeln statt reden

republica 2019 Stand WWF
Stand des WWF zum Thema Plastik in den Meeren; Foto: Stefanie Loos/re:publica

Bits und Bäume, Techis und Ökos haben zueinander gefunden, hieß es auf der re:publica. Lassen sich die beiden Trendthemen unserer Zeit, Nachhaltigkeit und Digitalisierung, vereinen? Liegt in ihnen ein Widerspruch oder beflügeln sie sich gegenseitig? Diesen Fragen ging die re:publica mit der Deutschen Bundesstiftung nach. Das Fazit: Der technische Fortschritt bedeutet nicht per se den Untergang, noch ist er ein Heilsbringer für sämtliche Probleme. Es kann aber in beide Richtungen ausschlagen. Einerseits eröffnen sich neue Produktionswege durch Amazon und Co., die als Brandbeschleuniger fungieren können, andererseits ist die Digitalisierung auch in der Lage zur Nachhaltigkeit beizutragen, sie sogar überhaupt erst zu ermöglichen. Entscheidend sind die Zwischentöne. Folgende Punkte sieht das Bundesumweltministerium, das in diesem Jahr zum ersten Mal Partner der re:publica ist, dabei für essentiell an:

 

  • Digitalisierung ist nicht automatisch gut für die Nachhaltigkeit, sie muss gestaltet werden
  • Sie sollte mit Experten aus verschiedenen Fachbereichen angegangen werden
  • Es helfen keine langfristigen Masterpläne, man muss auch in den Verwaltungen noch agiler vorgehen
Session: Safe Future for Humanity on Earth
Session: Safe Future for Humanity on Earth
Speaker: Johan Rockström; Foto: Stefanie Loos/re:publica

„Wenn wir es denn dann richtig machen, wird die Digitalisierung zum Ermöglicher von Nachhaltigkeit und wir verhindern, dass sie zum Brandbeschleuniger wird“, so eines der Resümees. Harald Welzer von der Stiftung Futurzwei betont darüber hinaus das falsche Verständnis von Disruption und relativiert dadurch unnötige Aufreger: „Disruptiv ist, wenn 40 Prozent unserer Insektenarten vom Aussterben bedroht sind. Disruptiv ist, wenn die Erde sich um mehr als zwei Grad erwärmt. Denn diese Entwicklungen verändern unser gesamtes Leben. Es ist keine Disruption, wenn mein Kühlschrank Milch für mich bestellt.“ 

Bundesumweltministerin Svenja Schulze präsentierte auf der re:publica die zehn wichtigsten Punkte einer umweltpolitischen Digitalagenda:

 

BMU Talk auf der republica
Copyright: BMU/Benjamin Thieke

 

Hier ein paar weitere Eindrücke der re:publica 2019:

Berlin: Ein Volocopter auf der republica. Foto: Jan Michalko/re:publica
Ein Volocopter auf der republica. Foto: Jan Michalko/re:publica
republica 2019 Talk: FLEX; Speaker: Marcus John Henry Brown
Talk: FLEX; Speaker: Marcus John Henry Brown; Foto: Jan Zappner/re:publica
republica 2019: Session: Der Geist des digitalen Kapitalismus – Solution und Techno-Religion Speaker: Oliver Nachtwey
Session: Der Geist des digitalen Kapitalismus – Solution und Techno-Religion Speaker: Oliver Nachtwey; Foto: Stefanie Loos/re:publica
Playability auf der re:publica 2019
Playability auf der re:publica 2019. Foto: Jan Michalko/re:publica
Außenfläche der re:publica 2019
Außenfläche der re:publica 2019; Foto: Stefanie Loos/re:publica
Eine Besucher*innen tanzt in der Silent Disco auf der re:publica 2019; Foto: Jan Zappner/re:publica
Eine Besucher*innen tanzt in der Silent Disco auf der re:publica 2019; Foto: Jan Zappner/re:publica
Vortrag rbb auf der republica 2019
rnn-Vortrag auf der republica 2019; Foto: Stefanie Loos/re:publica
republica 2019: Talk: Twitterlesung
Talk: Twitterlesung;
Speaker: Björn Grau, Inés Gutiérrez, Tina Pickhardt, Michael Seemann; Foto: Jan Michalko/re:publica
Die Maus vom WRD auf dem Geländer der re:publica.
Die Maus vom WRD auf dem Geländer der re:publica. Foto: Stefanie Loos/re:publica
Besucher*innen mit einer VR-Brille am Stand vom ZDF auf der re:publica
Besucher*innen mit einer VR-Brille am Stand vom ZDF auf der re:publica.; Foto: Stefanie Loos/re:publica
republica 2019: Session: Ein Jahr #MeTwo - Was los?
Session: Ein Jahr #MeTwo – Was los? Vorbote eines Civil Right Movements!
Speaker: Farhad Dilmaghani, Marijana Bogojevic, Malcolm Ohanwe, Juliane Metzker, Ali Can; Foto: Jan Zappner/re:publica
Besucher*innen beschäftigen sich auf der re:publica mit einer Statistik über die Fortbewegungsmittel der Teilnehmer
Besucher*innen beschäftigen sich auf der re:publica mit einer Statistik über die Fortbewegungsmittel der Teilnehmer; Foto: Jan Zappner/re:publica
republica 2019: Geht wählen! Pullover mit Aufdruck der Fahne der Europäischen Union.
Geht wählen! Pullover mit Aufdruck der Fahne der Europäischen Union. Foto: Jan Michalko/re:publica
Sascha Lobo auf der republica 2019
Sascha Lobo auf der republica 2019; Foto: Stefanie Loos/re:publica
Alexander Gerst und Michelle Müntefering auf der re:publica 2019
Alexander Gerst und Michelle Müntefering auf der re:publica. Foto: Matthias Balk/re:publica
Alexander Gerst auf der re:publica. Foto: Stefanie Loos/re:publica
Alexander Gerst auf der re:publica. Foto: Stefanie Loos/re:publica
Besucher*innen gehen über das Außengelände der re:publica.
Das Außengelände der re:publica; Foto: Stefanie Loos/re:publica
Besucher*innen auf der re:publica 2019 am Stand von Google
Besucher*innen auf der re:publica am Stand von Google; Foto: Stefanie Loos/re:publica
Halle republica 2019; Foto: Stefanie Loos/re:publica
republica 2019; Foto: Stefanie Loos/re:publica
Tubbe auf der re:publica 2019
Tubbe auf der re:publica 2019; Foto: Daniel Großjohann/re:publica
Design der re:publica 2019
Design der re:publica; Foto: Daniel Großjohann/re:publica

Titelbild: re:publica 2019 @Stefanie Loos/re:publica

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